Trauer. Habt ihr jemals Abschied von einem Todkranken nehmen müssen, nachdem ihr ihn auf seinem Leidensweg begleitet habt?

Vielleicht haben viele unter uns bereits eine schmerzhafte Erfahrung wie diese durchlebt.

Wenn du siehst, wie andere von einem geliebten Menschen Abschied nehmen und eine lange Zeit der Trauer durchmachen, kannst du dir zwar vorstellen, dass es eine schwierige Erfahrung sein muss, unter deren Last man auch zerbrechen kann. Was es aber wirklich bedeutet, verstehst du erst, wenn du selbst in diese Situation kommst.

Mein Leben mit einer Schwerkranken im Endstadium

Meine Mutter und ich hatten immer schon ein schwieriges Verhältnis: Ich würde es als Gratwanderung zwischen „Liebe und Hass“ definieren. Manchmal waren wir sehr stark miteinander verbunden und manchmal waren wir für längere Zeit voneinander getrennt. Ihre Stimmungsschwankungen, ihr schlagartiger Sinneswandel sowie ihre plötzlichen Reaktionen habe ich nie verstanden und vermittelten mir immer ein Gefühl von Unsicherheit. Diese Verhaltensweisen, aufgrund derer ich mich von ihr distanzierte, hatte ich nie verstanden, bis jetzt.

Die ersten Anzeichen der Krankheit

Es ist nie einfach, von jemandem Abschied zu nehmen und man ist nie für die Trauer bereit. Nicht, wenn du realisierst, dass du keine Möglichkeit mehr hast, dein eigenes Verhalten wiedergutzumachen.

Vor einigen Monaten hatte meine Mutter einen Schlaganfall erlitten – so schien es jedenfalls. Er war leicht, sagten die Ärzte, und sie hatte Glück. Relativ kurz darauf hatte sie sich davon erholt und konnte wieder ein fast „normales“ Leben führen. Noch gab es keine ausreichenden Gründe dafür, um sich wieder näher zu kommen, schließlich war doch alles wieder gut, oder?

Bis zum zweiten Schlaganfall, der schlimmer ausfiel als der erste. Dann kam der entscheidende Moment, als ihr Körper nicht mehr konnte. Sie war nicht mehr in der Lage, Nahrung aufzunehmen, die Muskeln reagierten nicht mehr. Daher wurde sie sofort ins Krankenhaus eingeliefert. Es folgten zahlreiche Untersuchungen durch Fachärzte, welche die Entwicklung der Krankheit nicht verstanden.

Trauer Das Leben mit dem Tod - Abschied -unsplash

Trauer Das Leben mit dem Tod – Abschied -unsplash

Die erste Phase der Trauer: Der Befund

Vor ein paar Wochen lag dann der Befund vor: progressive supranukleäre Blickparese – so der Name der Krankheit, an welcher meine Mutter leidet. Aber was bedeutet das? Das heißt, dass das Gehirn genetisch erkrankt ist, und zwar handelt es sich um eine vererbbare Krankheit. Nach einer leichten Phase von Stimmungsschwankungen, die „über der Norm“ liegen, verschlimmert sich die Krankheit immer schneller, bis das Gehirn so stark geschädigt ist, dass es zur Lähmung kommt: Es treten Bewegungsstörungen auf und allmählich gehen grundlegenden Körperfunktionen verloren. Eine künstliche Ernährung und künstliche Beatmung werden notwendig, bis man nur mehr „vor sich hinvegetiert“ und die Familie entscheiden muss, wann der „Stecker gezogen werden soll“.

Daher also hatte meine Mutter diese Stimmungsschwankungen. Und daher liegt sie nun gelähmt im Krankenhaus und leidet an einer Krankheit, die ihr jeden Tag mehr und mehr Lebensenergie entzieht.

Was ist für uns selbstverständlich im Leben?

Vieles. Wir sehen viele Dinge als Selbstverständlichkeit und gehen immer davon aus, dass wir noch genügend Zeit für Wiedergutmachungen haben werden, und zwar wenn uns leid tut, was wir gesagt oder getan haben bzw. etwas nicht gesagt zu haben.

Aber, glaubt mir, wir haben nie genügend Zeit. Jetzt stehe ich da und in meinem Kopf schwirren so viele Worte herum, die ich meiner Mutter sagen möchte. Ich wünschte, sie würde von diesem Bett aufstehen können, um mit mir zu sprechen, mich zu verstehen und mir zuzuhören, was ich ihr sagen will.

Und das Erste, das ich sagen möchte, ist: „Entschuldigung, Mama“. Ja, denn wir urteilen ständig über andere und betrachten die Dinge oft nur aus unserer Sicht und glauben, Recht zu haben. Und wir schlagen anderen die Türe sprichwörtlich vor der Nase zu. Jedoch sind wir nicht in der Lage, uns in andere hineinzuversetzen und zu verstehen, was sie dazu bringt, etwas zu tun oder zu sagen, was wir „hassen“.

Abschied und Trauer: Meine Botschaft an euch

Einem Angehörigen dabei zusehen zu müssen, wie sich dessen Zustand tagtäglich verschlechtert, zu sehen wie sich dessen Körper und Gesichtszüge verändern, zu sehen wie das Leben langsam entweicht und der Tod immer mehr Besitz ergreift, ist meiner Ansicht nach eine schreckliche Erfahrung. Man stellt alles in Frage: Sind meine bisherigen Prioritäten denn wirklich so wichtig? Was ist eigentlich wichtig? Lohnt es sich, viele Opfer im Leben zu bringen, um dann so zu enden? Ehrlich gesagt, gibt es keine richtigen Antworten auf diese Fragen. Es gibt keine objektive Wahrheit. Es gibt viele verschiedene Wahrheiten, die während oder nach einer solchen Erfahrung in uns heranreifen. Das sind meine drei „neuen“ Wahrheiten:

  1. Wenn wir glauben, dass wir Zeit haben, liegen wir falsch: Carpe diem sagten schon die alten Römer, zu Deutsch »Nutze den Tag!«. Es ist immer ein guter Zeitpunkt, um anderen unsere Gefühle zu zeigen und das zu tun, was wir wirklich wollen. Man bekommt selten eine zweite Chance im Leben.
  2. Wenn wir glauben, dass die Menschen um uns herum immer da sein werden, liegen wir falsch: Kümmern wir uns deshalb jeden Tag um unsere Lieben, solange wir können.
  3. Wenn wir glauben, dass die Dinge, die heute wichtig erscheinen, wirklich wichtig sind, liegen wir falsch: ein Streit, ein Missverständnis, ein falsches Wort oder wenn einmal etwas schief geht – das alles kann man wiedergutmachen. Rücken wir diese Dinge also gerade! Lernen wir aber auch, alles in eine gewisse Relation zu setzen. Auch eine zerbrochene Beziehung bedeutet nicht das Ende der Welt. Wir werden uns wieder verlieben.

Aber das Leben… ja, das Leben ist einmalig. Und wenn du dir dessen bewusst wirst, ändert sich alles. Genau ab diesem Zeitpunkt beginnt dein Leben wirklich.

Und du? Welche Erfahrungen hast du gemacht? Willst du deine Erkenntnisse daraus mit anderen teilen? Auf diese Weise kannst du anderen helfen, die gerade eine ähnliche Situation durchmachen.

 

 

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