El Día de los Muertos in Mexiko: Interview mit Dorothee Bliem
Steckbrief
Name: Dorothee Bliem
Herkunft: Wörgl
Wohnort: Innsbruck
Ausbildung: Studium der Sprachwissenschaft in Innsbruck & Amsterdam
Beruf: Assistentin & DaF-Trainerin am Management Center Innsbruck
Lieblingszitat: „A mind that is stretched by a new experience can never go back to its old dimensions.“ – Oliver Wendell Holmes, Jr.
(Ein Geist, der durch neue Erfahrungen erweitert wurde, schrumpft nie auf seine alte Größe zurück.)
1. Einleitung
Warum warst du in Mexiko?
Über eine Freundin bin ich vor gut drei Jahren auf eine Stellenanzeige des deutschen Kulturinstituts in San Luis Potosí in Zentralmexiko aufmerksam geworden. Ich hatte immer schon den Traum, Mittel- und Südamerika zu bereisen, wobei ich mir nicht vorstellen konnte, dort gleich eine Arbeitsstelle anzutreten. Das schien mir alles viel zu ernst und zu aufwendig und überhaupt war Mexiko ja auch viel zu weit weg. Schnell beschlich mich jedoch ein Gefühl von “wenn nicht jetzt, wann dann”, sodass ich mich auf die Stelle bewarb und auch prompt eine Zusage bekam. Von Januar 2017 bis November 2018 unterrichtete ich schließlich Deutsch als Fremdsprache in San Luis Potosí.
2. Allgemeine Fragen zum Día de los Muertos
a. Wann hast du zum ersten Mal den Día de los Muertos persönlich erlebt?
Meinen ersten Día de los Muertos erlebte ich im November 2017.
b. Wie lange hat das Fest gedauert?
Offiziell erstreckt sich das Fest vom 28. Oktober bis zum 2. November in Mexiko. Die großen Feierlichkeiten finden aber am 1. und 2. November statt, also dann, wenn wir in Österreich Allerseelen und Allerheiligen feiern. Bereits einige Tage zuvor beginnt man mit den Vorbereitungen: Man erledigt Einkäufe und besorgt Dekomaterialien für die Altare, die zu Ehren der Verstorbenen aufgestellt werden. Am 1. November sollen der Legende zufolge dann die Seelen verstorbener Kinder wieder auf die Erde kommen, am 2. November sind die Erwachsenen dran. Zu Mitternacht kehren sie schließlich gemeinsam ins Reich der Toten zurück.
c. Wo warst du und was hast du an diesem Tag gemacht?
Mexiko ist was offizielle Feiertagen betrifft ein sehr sparsames Land. Ich musste also am 1. und 2. November ganz normal arbeiten. Von einer Schülerin bekam ich jedoch eine sogenannte Calaverita geschenkt. Übersetzt heißt das Totenköpfchen, doch in diesem Zusammenhang sind Calaveritas kurze, zynische Gedichte. Sie werden anlässlich des Día de los Muertos für Freunde und Familie verfasst. Rhythmus und Reim sind dabei nebensächlich – Hauptsache, die Geschichte hat einen skurrilen, tödlichen Ausgang.
Abends entdeckte ich dann einen kleinen Altar in unserem Wohnzimmer. Meine Mitbewohner hatten ihn gemeinsam aufgestellt und Fotos ihrer verstorbenen Angehörigen drauf drapiert. Daneben fanden sich kleine Totenköpfe aus Zuckerglasur und ganz viele Blüten der orangenen Totenblume cempasúchil. Die cempasúchil soll den Verstorbenen den Weg von ihrem Grab zu ihrem Altar weisen. Teilweise werden auch extra die Leibspeisen der Verstorbenen gekocht, die man ebenfalls auf den Altaren wiederfindet.
Am nächsten Tag besuchte ich das Stadtzentrum von San Luis Potosí. Dort konnte man öffentliche Altare begutachten, die sich teils in richtigen Wettbewerben aneinander maßen. Außerdem probierte ich das mexikanische „Totenbrot“, das Pan de Muertos. Es handelt sich dabei um ein süßes Gebäck und ähnelt im Geschmack einem süßen Hefezopf.
d. Wusstest du von diesem Fest oder kam es unerwartet?
Wir behandelten in meinem Unterricht viele Feierlichkeiten aus dem deutschsprachigen Gebiet. Dabei kamen auch immer wieder Unterschiede zur mexikanischen Kultur zur Sprache. So gesehen hatte ich bereits einen Vorausblick darauf, was mich im November erwarten würde. Dass man sich mit den Altaren so viel Mühe geben würde, hatte ich dennoch nicht erwartet.
3. Details
a. An welchen Feierlichkeiten hast du teilgenommen?
Wie oben beschrieben konnte ich leider an keinen Straßenumzügen teilnehmen. Diese sind in anderen Bundesstaaten auch verbreiteter als in San Luis Potosí.
b. Was hast du an jenem Tag bzw. jenen Tagen gesehen? Wie feiern die Menschen in Mexiko üblicherweise dieses Fest?
Die bunten Altare waren mit Sicherheit das Eindrucksvollste. Auch die Mühe, die man sich machte, um die Leibspeisen oder sonstige geschätzte Dinge für die Verstorbenen vorzubereiten war beeindruckend. Viele Mexikaner feiern das Fest außerdem in großen Umzügen, wo sie als Skelett verkleidet durch die Straßen ziehen. In der Nacht von 2. auf 3. November finden sich viele an Friedhöfen ein, um dort gemeinsam zu essen und zu musizieren. Auf diese Art sollen die Verstorbenen wieder ins Jenseits begleitet werden.
4. Persönliche Reflexionen und Emotionen
a. Was hast du dabei empfunden?
Ich fand es sehr schön, dass dieses Fest so bunt gefeiert wird. Die Menschen holen sich in Erinnerung, was den Verstorbenen zu Lebzeiten Freude machte. Dadurch entsteht eine sehr schöne Stimmung. Man konzentriert sich auch viel mehr auf die positiven Seiten der Verstorbenen, als auf die Trauer über ihren Tod.
b. Hat dich etwas nachdenklich gestimmt?
Ja: ich habe leider nie herausgefunden, was mit dem Essen passiert, das für die Verstorbenen gekocht wird (also ob man das essen darf, oder ob es irgendwann im Hausmüll landet ;-)).
Manchmal hatte ich auch das Gefühl, dass das Fest ziemlich kommerzialisiert wird: gerade bei den öffentlichen Altar-Wettbewerben geriet der Gedanke an den Verstorbenen etwas in den Hintergrund.
c. Unterschiede zur österreichischen Kultur in Bezug auf dieses Thema?
Da ich nicht gläubig aufgewachsen bin, hatte Allerheiligen und Allerseelen nie einen großen Stellenwert für mich. Dennoch lag über diesen Tagen immer ein etwas trister Schatten. Die Trauer um einen geliebten Menschen wird bei uns ja außerdem oft hinter vorgezogenen Vorhängen ausgelebt. Dass die Menschen in Mexiko so offen in eine Beziehung mit den Toten treten, fand ich befreiend.
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