Sprechen wir über andere Kulturen und Sichtweisen über den Tod, sind asiatische Länder eine großartige Quelle für Geschichten, Legenden und Kuriositäten.
Im August 2010 war ich im Rahmen einer Geschäftsreise zu Gast bei einer taiwanesischen Kollegin in Taipeh. Sie teilte mir mit, dass ich während des sog. „Ghost Month“ gekommen war – dem Monat der Geister. Sie fragen sich nun bestimmt, was dieser Geistermonat ist. Es handelt sich um den 7. Mondmonat, der in Taiwan normalerweise zwischen unserem August und September liegt und der nicht nur in Taiwan sondern auch in China, Japan oder Thailand gefeiert wird (mit einigen Unterschieden). Der Ursprung des Festes beruht auf der taoistischen und buddhistischen Tradition.
Die Rückkehr der Toten
Bei meinem Besuch tauchte ich also in diese „Kultur des Todes“ ein. Meine Bekannte erzählte mir, dass sich im Monat der Geister die Tore des Jenseits öffnen und die Toten auf die Erde zurückkehren, um die Lebenden zu besuchen. Es passiert eine Art Jahresbericht, der uns zurückblicken lässt, wie wir im vergangenen Jahr gelebt haben. Waren wir den anderen gegenüber eine Hilfe und guten Geistes, werden uns unsere Toten Glück bringen. Waren wir jedoch schlechten Geistes, eigennützig, böse etc., werden wir bestraft.
Einmal gingen wir mittags durch die Straßen von Taipeh und bemerken eine große Menschenansammlung in den Straßen und in Nähe der Tempel. In den Straßen roch es nach Weihrauch. Dieser wurde in großen Mengen verbrannt – wie ich erfuhr – als Geschenk und Mittel zur Verbindung mit den Toten. Gegenstände wie Kleidung oder Falschgeld wurden ebenfalls verbrannt. Denn durch das Verbrennen von Kleidung, Accessoires oder Falschgeld können diese Gegenstände auf die Toten übertragen werden und von ihnen im Jenseits verwendet werden.
Der „hungrige“ Geistermonat
Im Ghost Month gibt es noch einen speziellen Tag, den 15. August, der meist der Vollmondtag im August ist. An diesem Tag „der wandernden Seelen“ arbeiten die Leute nicht. Ich wurde von der Familie meiner Kollegin, die in einem Dorf auf einer Insel in Taipeh lebt, welche mit der Hauptstadt über eine Brücke verbunden ist, zum sog. „Ghost Month-Festessen“ eingeladen. Dieses besondere Mittagessen besteht aus 12 Gerichten. Zwölf deshalb, weil man annimmt, dass auch die Toten hungrig seien und viel Nahrung benötigen. Jedes Gericht hat seinen eigenen Namen und seine Bedeutung. Ich erinnere mich nur noch an den Namen der Nr. 7, den “ Sprung des Buddha“. Man glaubt, dass es so köstlich schmeckt, dass selbst Buddha vom Himmel auf die Erde springt, um dieses spezielle Gericht zu probieren. Als typisch im Westen lebende Person, treffen bei weitem nicht alle Gerichte meinen Geschmack. Besonders auf die Gelees, welche gegen Ende des Essens serviert werden, könnte ich verzichten. Was ich am meisten schätze, ist dieses Gefühl der Gemeinschaft und Familienzusammenführung. Obwohl das Haus nicht sehr groß war, war es mit Familie und Freunden, einschließlich mir, übervoll.
In den Straßen und Garagen improvisierten Straßenköche und drehten ihre Pfannen auf mit Kraftstoff gefüllten Behältern, was zu sehr großen Flammen führte, und boten gegen eine Gebühr Speisen für die gesamte Nachbarschaft an. Wir spazierten nach unserem Mittagessen durch die Straßen des Dorfes zum Meer, wo sich über den Felsen ein Tempel befand. Wir gingen zum Tempel und es begann zu regnen. Meine Kollegin blickte von oben auf das Meer und die Wolkenkratzer von Taipeh in der Ferne und erzählte mir einige weitere Geschichten über diese für mich andere Kultur des Todes. So gibt es mehrere Dinge, die im Geistermonat nicht getan werden sollten. Eine davon ist es, ein Unternehmen zu gründen oder etwas Neues im Leben zu machen. Sie sollten z.B. kein neues Haus als Immobilie kaufen. Weiters sollte man nicht in der Nacht herumspazieren, denn die Straßen sind nachts für die Toten und nicht die Lebenden. Kleidung sollte zum Trocknen nicht draußen aufgehängt werden, da sie Toten dienen könnte…
Am Ende meiner Geschäftsreise brachte ich nicht nur einen Koffer voller Kleidung und kleinen Geschenken aus Taipeh zurück nach Hause, sondern auch wertvolle Erfahrung. Die familiäre Atmosphäre, die Geschichten von Menschen, die jedes Jahr darauf warten, dass sich die Türen des Jenseits wieder öffnen, damit sie mit ihren lieben Verstorbenen Zeit verbringen können…das alles wirkte noch lange nach. Ich realisierte auch, wie viele verschiedene Interpretationen es zum Thema Tod gibt. Nachdenklich gestimmt hat mich, dass es in unserer (westlichen) Kultur – außer vielleicht zu Allerheiligen und Allerseelen – kaum eine Gelegenheit gibt, uns öffentlich mit den Toten beschäftigen zu dürfen. In Taiwan ist dies möglich. Einen ganzen Monat lang kann sich ein jeder mit „seinen“ Toten befassen, mit ihnen leben, essen, ihnen Gegenstände schenken/widmen, mit ihnen sprechen und auf der anderen Seite auch von ihnen beschenkt bzw. beurteilt werden. Sozusagen eine Brücke, ein Austausch zwischen Lebenden und Verstorbenen.
– Lorenza Veronese
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→ und auf der Taiwan News-Website: Top 10 things to do during Ghost Month